Abendblatt.de (08/2004)

Megosztás

Zwölf Männer-Generationen

Miklos Vamos' Roman: eine Saga über das Leben der Väter und Vorväter in Ungarn.

Von Elke Nicolini

Bücher, die von der Geschichte einer Familie erzählen, sind en vogue wie selten zuvor. In den meisten Fällen steht der Vater im Mittelpunkt. Ein literarisches Musterbeispiel schuf vor ein paar Jahren der ungarische Schriftsteller Péter Esterhazy, der sich mit Esprit und Witz seinem Vater und den Vorvätern näherte und gleichzeitig ein Panorama ungarischer und österreich-ungarischer Geschichte entstehen ließ.

Sein Landsmann Miklos Vamos tut es ihm nach - auf seine Weise. Entstanden ist eine Familiensaga mit fantastischen Ausschmückungen, neben denen sich Dokumentarisches zu historischen Ereignissen behauptet. Im Mittelpunkt jedes Kapitels steht der jeweils Erstgeborene von zwölf Generationen. Die meisten von ihnen sind mit seherischen Fähigkeiten begabt, wissen präzise, was den Vorfahren geschah, manch einer schaut sogar in die Zukunft, die meist Unheilvolles verheißt.

Aus der Position des Allwissenden erzählt Vamos von den Zeitläufen, mal mit barocker Ausmalungslust, mal aus lakonischer Distanz, mal verschmitzt. Es ist nun einmal so, dem in die Welt geworfenen Menschen droht Unheil, die Freuden sind rar, was bleibt anderes, als davon zu erzählen!

Der Autor schöpft aus dem Vollen, erzählt in kräftigen Farben von diesen Männern, die vieles verbindet und die sich oft grundlegend voneinander unterscheiden, im Charakter und in ihrer gesellschaftlichen Stellung: Hochbegabte; Nichtsnutze; wilde Raufbolde; Spätentwickler; Wunderkinder; Liebeskranke; tüchtige Geschäftsleute. Und solche, denen alles glückt, bis ihnen das Schicksal grausame Streiche spielt - etwa Istvan, dem Dritten in der Generationenfolge: ein erfolgreicher Weinhändler, liebevoller Ehemann und Vater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Seine Frau und Kinder werden vom Pöbel bei einem der vielen Pogrome niedergemetzelt; er selbst und der Älteste überleben schwer verletzt.

Durch drei Jahrhunderte bis in unsere Zeit führt der Erzählstrom. Er beginnt mit einer Aufzeichnung im "Buch der Väter", das Großvater Czuczor am Anfang des 18. Jahrhunderts für seinen Enkel Cornelius angelegt hat: Darin hält er fest, wie er mit Tochter und Enkel aus Bayern in die ungarische Heimat zurückkehrt, nachdem er unter dem Verdacht der Geheimbündelei hatte fliehen müssen. Keine schöne Rückkehr: das Dorf von Soldaten zerstört. Immer wieder überfallen sie die leidende Bevölkerung. Schlechte Zeiten herrschen. Und eigentlich gilt das für alle Generationen, von kurzen Wohlstandsphasen abgesehen. Den Gipfel der Grausamkeit erlebt Blasz, einziger Holocaust-Überlebender der Familie; Großvater und Vater sterben im KZ oder beim Transport dorthin.

Das letzte Kapitel ist unserem Zeitgenossen Henryk gewidmet, der in New York geboren wurde. Im Gegensatz zum Leser weiß er nichts von seinen Vorfahren, er wuchs in Amerika bei seiner Großmutter auf; das Band zu den Vätern ist zerrissen; der eigene Vater wurde von Wegelagerern getötet. Sein Großvater ist jener Blasz, der als einziger des Clans der Schoa entronnen war. In tiefster Bitterkeit hat Blasz das Buch der Väter zerrissen, versucht jede Erinnerung zu tilgen. So kommt es, dass sein Enkel Henryk nicht einmal weiß, dass er jüdische Vorfahren hat.

Doch der junge New Yorker wäre nicht dem Kopf seines Autors entsprungen, hätte er nicht ein großes Interesse an seinen Wurzeln, der Geschichte seines Clans und seines Landes. Mit Geduld und Hartnäckigkeit versucht er in den Archiven Spuren der Seinen zu finden, nachdem auch er nach Ungarn, ins Land der Väter, zurückgekehrt ist.

Man kann ihn sich gut als Alter Ego des Autors vorstellen. Auch Miklos Vamos hat zumindest berufliche Verbindungen in die USA, und er selbst weiß so gut wie nichts über seinen Vater. Daher, so hat er einmal in einem Interview zur Absicht seines Romans gesagt, habe er sich mit diesem Buch viele Väter schaffen wollen.

Miklos Vamos: Buch der Väter. btb-Verlag, 500 Seiten; 23,90 Euro.

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